Abendrot

Buchseite und Rezensionen zu 'Abendrot' von Kent Haruf
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5 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Abendrot"

Holt, eine Kleinstadt im Herzen Colorados. Jeder der Einwohner hier hat sein Päckchen zu tragen. Und jeder von ihnen ist bemüht, dem Leben einen Sinn abzutrotzen. Zwei alte Viehzüchter müssen den Wegzug ihrer Ziehtochter verkraften. Ein Ehepaar kämpft ums schiere Überleben – und um die Kinder, die man ihnen wegnehmen will. Und zwei Teenager sehnen sich nach Abenteuern fernab von Holt. Aber dann gerät das Leben aller komplett aus den Fugen – und sie begegnen einander neu.

Autor:
Format:Kindle Edition
Seiten:480
EAN:

Rezensionen zu "Abendrot"

  1. Einsame Seelen

    Holt, eine Kleinstadt im Herzen Colorados, mitten in den Great Plains: Die beiden alten Viehzüchter Raymond und Harold McPheron müssen den Wegzug von Victoria Roubideaux (19), ihrer Ziehtochter, verkraften. Sie verlässt mit ihrer zweijährigen Tochter Katie die Farm, um zu studieren. Das Ehepaar Betty und Luther Wallace lebt in einem verwahrlosten Trailer und muss darum kämpfen, dass seine Kinder Richie und Joy Rae bei ihnen bleiben dürfen. Ein elfjähriger Junge, genannt DJ, kümmert sich rührend um seinen kranken Großvater Walter Kephart (75). Und auch einige andere Menschen in dem Ort haben es nicht leicht, doch sie sind entschlossen, dem Leben einen Sinn abzutrotzen…

    „Abendrot“ ist die Fortsetzung des Romans „Lied der Weite“ und der zweite Band der „Plainsong“-Trilogie des bereits verstorbenen Autors Kent Haruf.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus vier Teilen, die nochmals in 46 Kapitel mit einer angenehmen Länge untergliedert sind. Erzählt wird aus der Sichtweise unterschiedlicher Personen. Dieser Aufbau funktioniert gut.

    Sprachlich konnte mich der Roman begeistern. Der Schreibstil ist schnörkellos, unaufgeregt und recht nüchtern, gleichzeitig jedoch eindringlich, atmosphärisch dicht und einfühlsam. Er ist darüber hinaus von viel wörtlicher Rede gekennzeichnet. Nicht nur aufgrund der Kenntnis des Vorgängerromans fiel mir der Einstieg in die Geschichte leicht. Das Buch lässt sich auch unabhängig lesen.

    Im Mittelpunkt stehen einige vertraute Charaktere wie Victoria und die McPheron-Brüder, aber auch neu eingeführte Personen. Auch im zweiten Band zeichnet der Autor ein vielschichtiges und authentisches Bild der Protagonisten.

    Die Schicksale und Probleme der Figuren sind ziemlich verschieden und keine leichte Kost. Sie konnten mich jedoch alle auf ihre eigene Weise berühren. Dargestellt werden unterschiedliche Facetten der Menschlichkeit. Dabei geht es um seelische Abgründe, aber auch um Hoffnungsschimmer. Immer wieder spielt die Einsamkeit eine große Rolle. Man fiebert mit den Personen mit und bangt, für wen sich alles noch zum Guten wendet und für wen nicht. Dadurch konnte mich der Roman fesseln. Dabei bleibt die Handlung allerdings stets realistisch und kommt ohne Kitsch aus.

    Das vom Verlag gewohnt reduzierte Cover passt gut zur Geschichte. Auch der Titel ist treffend gewählt und orientiert sich stark am amerikanischen Original.

    Mein Fazit:
    Auch mit „Abendrot“ konnte mich Kent Haruf überzeugen. Ich bin nun gespannt, wann der dritte Teil auf Deutsch erscheinen wird, den ich mit Sicherheit auch noch lesen werde.

  1. Der Einsamkeit entkommen

    Kent Harufs Bücher spielen alle in der fiktiven amerikanischen Kleinstadt Holt, Colorado. "Abendrot" ist der dritte Teil der "Plainsong-Trilogie", man kann jedoch die Teile unabhängig voneinander lesen.

    Harufs Charaktere haben alle auf die eine oder andere Art mit der Einsamkeit bzw. demVerlassen-Sein und -Werden zu kämpfen.

    Da sind zunächst die Brüder Raymond und Harold, zwei alternde Rancher, die vor einigen Jahren eine junge Frau bei sich aufnahmen, welche mit ihrer kleinen Tochter nunmehr ihren harten Alltag bereichert und mit Freude füllt. Diese zieht jedoch fort, um an einem College zu studieren und lässt die beiden zurück, die nun wieder lernen müssen, ohne sie zurecht zu kommen. Da ereilt sie ein schwerer Schicksalsschlag...

    Betty und Luther, zwei Menschen am untersten Ende der sozialen Leiter, versuchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, sich und ihre zwei Kinder durchzubringen. Dabei erhalten sie zwar Hilfen über die soziale Absicherung, stehen jedoch stets am Rande der Gesellschaft. Dies bekommen auch ihre beiden Kinder jeden Tag zu spüren.Als ein Onkel bei ihnen einzieht, haben sie dessen egoistischer und gewalttätiger Vereinnahmung nichts entgegenzusetzen...

    Und dann ist da noch DJ, ein elf-jähriger Junge, der sich aufopfernd um seinen Großvater kümmert, stets in der Angst, am Ende auch diesen zu verlieren und dann völlig allein dazustehen. Er ist zu stolz, sich anderen Menschen hilfesuchend anzuvertrauen und erfüllt seine täglichen Pflichten über das Maß seiner ihm angesichts seines Alters entsprechenden Möglichkeiten hinaus. Eines Tages lernt er das Mädchen Dena kennen, mit der er sich in einer alten Hütte einen Zufluchtsort schafft.

    All diese Menschen müssen auf die eine oder andere Art mit der Einsamkeit oder dem Verlassensein zurecht kommen. Allen ist eine tiefe Melancholie zu eigen, die den Leser tief berührt und betroffen macht.

    Haruf beschreibt die Schicksale seiner Charaktere auf eine sehr zurückgenommene, unsentimentale Art und Weise. Und doch - oder gerade deshalb? - gelingt es ihm, eine große emotionale Nähe zu seinen Figuren zu schaffen. Mit wenigen Worten lässt er Menschen und deren Gefühlswelt lebendig werden. Der Leser fühlt in jeder Sekunde mit den Akteuren mit, deren Schicksale gehen sehr nahe. Insbesondere die Nöte und Ängste der Kinder machen sehr betroffen, ohne dass es ausufernder Ausschmückungen bedarf. Das ist ganz große Erzählkunst.

    Ich kann dieses Buch wärmstens empfehlen.

  1. 5
    04. Feb 2019 

    EIn Buch mit starkem Suchtpotenzial

    Seit dem letzten Sonntag bin ich mit dem Buch durch. Aus Zeitmangel habe ich meine Rezension noch nicht schreiben können. Ich musste mir durch den Stress eine kleine Auszeit nehmen. Aber ich hatte den ganzen letzten Sonntag, 27. Januar, gelesen, sodass ich es zeitig ausgelesen hatte ...

    … denn es hat mich dermaßen fasziniert, hat mich gefangen genommen, sodass ich unbedingt wissen wollte, welche Entwicklung diese Geschichte samt ihren Figuren bis zum Schluss eingeschlagen hat. Einige Persönlichkeiten sind mir durch die ersten beiden Bände vertraut gewesen, andere wiederum sind neu hinzugekommen.

    In diesem Buchband werden mehrere Familien behandelt, die in ihrer Lebenswelt problematisch und konfliktbehaftet aufgefallen sind. Auch die innere und äußere Einsamkeit spielt hier bei vielen, bei Jung und Alt, eine große Rolle. Oftmals hat man hier den Eindruck, dass die Kinder seelisch stärker sind als die Erwachsenen, obwohl man ihnen die unbeschwerte Kindheit genommen hat. Die Auswirkung der verlorenen Kindheit bekommen sie häufig erst später, wenn sie erwachsen sind, zu spüren.

    Da wir dieses wunderbare Buch in der Leserunde auf Whatchareadin gelesen habe, werde ich mich hier kurzhalten.

    Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

    Die Handlung
    Ich beginne mal mit der mir bekannten Personengruppe, mit der Wahlfamilie:

    Victoria Roubideaux und die McPheron-Brüder
    Das sind die auf der Farm lebenden McPheron-Brüder, Harold und Raymond. Victoria Roubideaux und ihr Kleinkind Katie lebten noch bei ihnen. Die beiden Brüder haben sich sehr liebevoll um Victoria und Katie gekümmert. Victoria musste allerdings mit ihrer Tochter die Zelte abbrechen, um in Fort Collins ihr Studium anzutreten. Durch ein schweres Unglück eines der Brüder kommt Victoria mit ihrer Tochter wieder zurück auf die Farm, um für den zurückgebliebenen Bruder zu sorgen. Dieser tragische Unfall hat auch uns Leser*innen schwer getroffen. (Um die Spannung nicht zu nehmen, halte ich mich bedeckt, welcher McPheron verunglückt ist). Die beiden Brüder lebten von der Gesellschaft zurückgezogen und hatten nur einander. Seit dem 14. Lebensjahr lebten sie elternlos auf dieser Farm. Die Mutter verstarb recht früh, der Vater ist unbekannt. Eine eigene Familie haben beide Brüder nie gegründet ...

    Zur Erinnerung
    ... Bis ein junges Mädchen namens Victoria, vermittelt durch eine Bezugsperson, bei ihnen auftaucht. Die Brüder nahmen das Mädchen bei sich auf und gaben ihr bei ihnen ein neues Zuhause. Da die junge Victoria, damals noch schulpflichtig, schwanger war, wurde sie von der eigenen Mutter verstoßen und von fremden alten Männern aber aufgenommen …

    Die sozialschwache Familie Wallace
    Betty und Luther Wallace leben mit ihren beiden Kindern Richie und Joy Rae in einem Wohnwagen und werden regelmäßig von der Sozialarbeiterin Rose Tyler betreut. Beide Eltern sind kognitiv eingeschränkt und besonders Luther wirkt sehr naiv. Da die Familie nicht selbst für ihren Unterhalt aufkommen kann, bekommt sie vom Sozialamt Essensmarken ausgestellt. Die Eltern haben schon ein Kind an eine Pflegefamilie verloren. Das älteste Mädchen namens Donna wurde den Eltern aus der Familie genommen, da hier eine Kindeswohlgefährdung vorgelegen hat. Besonders die Mutter, die unter massiven psychosomatischen Beschwerden leidet, vermisst ihre Tochter schmerzlichst und sie versucht immer wieder, Kontakt zu ihr aufzunehmen, obwohl sie die Erlaubnis dazu nicht hat ...

    Eines Tages taucht Bettys Onkel auf, ein Versager auf allen Ebenen, verliert einen Job nach dem anderen, hat keinen festen Wohnsitz und säuft Alkohol was das Zeug hält und nistet sich in dem schon beengten Wohnwagen ein, und lebt auf den Kosten dieser armen Familie. Der Onkel ist zudem gewalttätig und gefährdet die Existenz von Richie und Joy Rae …

    Familie Kephart
    Der elfjährige Dj lebt bei seinem Großvater Walter Kephart. Auch Dj verlor seine Mutter recht früh, sodass er seitdem bei dem Großvater lebt, was Dj zu schätzen weiß. Er übernimmt sämtliche Verantwortung für den kränklichen Großvater, der rau wirkt und niemals ein liebes Wort für den Jungen übrighat. Neben der Schule schmeißt Dj den Haushalt, kocht, putzt und geht anderen Nebenjobs nach. Auch hier erlebt das Kind keine unbeschwerte Kindheit.

    Familie Wells
    Die mittlerweile alleinerziehende Mary Wells wurde von ihrem Mann verlassen, der in den hohen Norden gezogen ist. Mary hofft, dass ihr Mann wieder zurückkommt. Sie leidet psychisch massiv unter dem Verlust ihres Mannes. Eine neue Beziehung mit einem anderen Mann zog sie noch weiter in die Tiefe, da auch diese zum Scheitern verurteilt war … Die beiden Mädchen Dena und Emma sind dadurch häufig auf sich allein gestellt …

    Dies sind für mich die wichtigsten Figuren, wobei andere, die ich nun nicht erwähnt habe, auch bedeutend sind, siehe Diskussion aus der Leserunde.

    Cover und Buchtitel
    Gefällt mir gut, das Cover sieht wie ein Gemälde aus. Auf dem Bild könnte die Ranch von den McPheron-Brüdern abgebildet sein. Über den Buchtitel muss ich noch ein wenig nachdenken.

    Zum Schreibkonzept
    Eine Widmung auf der ersten Seite und ein religiöser Dichtvers auf der folgenden, geschrieben von Henry F. Lyte, der mir sehr gut gefallen hat. Hier bittet jemand um den Beistand Gottes für die Hilflosen. Passt wunderbar zu dem Buch.
    Das Buch ist auf den 416 Seiten in vier Teilen gegliedert. Die Anzahl der Kapitel sind fortlaufend, insgesamt 46. Auf der letzten Seite befindet sich eine Danksagung.

    Meine Meinung
    Wie die beiden anderen Bände fand ich auch den vorliegenden sehr authentisch und sehr empathisch geschrieben. Kent Haruf schafft es immer wieder, sich seelisch und mental in seine Figuren hineinzufühlen und für sie zu sprechen. Er verurteilt niemand, er beschreibt die Dinge und die Menschen so wie sie sind. Das hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn man hier den Eindruck gewinnen kann, dass es zu viele Verlierer*innen gibt, so muss ich sagen, Nein, das tut es nicht, es gibt bei vielen der Figuren positive Wandlungen, die so wohltuend sind, weil der Autor auch an das Gute im Menschen glauben lässt. Demnach ist es auch ein Buch über Freundschaft.

    Mein Fazit
    Ein Autor, den ich gerne bei mir auf meinem Blog stehen habe. Leider ist Kent Haruf nicht mehr am Leben. Neue Bücher kann er daher keine mehr schreiben. Insgesamt aber hat er sechs Bücher geschrieben, drei davon sind im Diogenes Verlag erschienen, und ich hoffe, dass der Verlag die anderen drei Bände auch noch vom Amerikanischen ins Deutsche übersetzt wird. Dadurch, dass man schlecht aufhören kann zu lesen, hat dieses und die beiden anderen Bücher "Lied der Weite" und "Unsere Seelen bei Nacht", absolutes Suchtpotenzial.

  1. Neues aus Holt, Colorado - Phantastisch erzählt

    „Bleib bei mir, Herr! Der Abend bricht herein.
    Es kommt die Nacht, die Finsternis fällt ein.
    Wo fänd´ ich Trost, wärst du, mein Gott, nicht hier?
    Hilf dem, er hilflos ist: Herr, bleib bei mir!“
    Henry F. Lyte
    (S. 7, Vorspann)

    Dieses ist nun der dritte Roman, den ich von Kent Haruf gelesen habe. Wieder ist er bei Diogenes erschienen, wieder spielt er im fiktiven Städtchen Holt am Rande der Great Plains (Große Ebenen) und nicht weit von Denver gelegen. Bereits im ersten Kapitel gibt es ein Wiedersehen mit den McPheron Brüdern Harold und Raymond. Beide bewirtschaften eine kleine Ranch mit Rinderzucht. Im „Lied der Weite“ hatten sie die schwangere Jugendliche Victoria bei sich aufgenommen, deren Gesellschaft den etwas verschrobenen Brüdern gut getan hat. Sie ist den Brüdern eine Tochter geworden. Doch jetzt steht Victoria davor, ihr eigenes Leben wieder aufzunehmen und die Ranch zu verlassen, um in Fort Collins zu studieren. Den beiden Brüdern fällt der Abschied sehr schwer, zumal sie in die kleine Katie, Victorias Tochter, sehr vernarrt sind.

    Im nächsten Kapitel lernen wir eine neue Familie kennen: Luther und Betty leben zusammen mit den Kindern Joy Rae und Richie in einem relativ verwahrlosten Wohnmobil am Existenzminimum. Die Eltern scheinen retardiert, haben eine falsche Wahrnehmung von sich sowie ihrer Umwelt und können ihren Kindern weder ausgewogene Mahlzeiten noch Geborgenheit oder Schutz bieten – und das, obwohl sie sie lieben. Die Familie wird vom Sozialamt betreut, insbesondere Rose Tyler versucht sie zu unterstützen. Da dem Ehepaar bereits eine Tochter abgenommen und in eine Pflegefamilie vermittelt wurde, hat es Angst, dass dieses noch einmal passieren könnte.

    Im dritten Kapitel ist DJ, ein 11-jähriger Junge, die Hauptperson. Er lebt zusammen mit seinem Großvater Walter Kephart in einem kleinen Haus. Der Junge kümmert sich um den Alten, versorgt den Haushalt, besorgt die Wäsche, während Walter ein sehr schweigsamer, wenig liebevoller Mensch ist. Eines Tages bittet die Nachbarin Mary Wells den Jungen, in ihrem Garten einige Arbeiten gegen Bezahlung zu erledigen. Schnell wird klar, dass sie dies tut, um DJ zu unterstützen. Sie selbst hat auch zwei Töchter, Emma und Dena. Insbesondere Dena und DJ freunden sich miteinander an. Sie richten sich einen alten Schuppen ein, der zu ihrem Refugium wird. Denn leider wird auch Denas Familie nicht vom Schicksal verschont bleiben.
    Es sind im Wesentlichen diese drei Menschengruppen, um die sich das Buch immer im Wechsel dreht. Die Berührungspunkte untereinander sind meist nur kurzer, oberflächlicher Natur, so wie es in einer kleinen Stadt eben immer wieder zu Begegnungen kommen kann. Es wechseln sich trübe, melancholische, zuweilen auch brutale Szenen mit freudigeren und hoffnungsfrohen Momenten ab – wie das Leben eben so spielen kann.

    Kent Haruf hat kein Wohlfühlbuch geschrieben, immer schwingt ein Hauch Melancholie mit. Es gibt große Schicksalsschläge, mit denen die Protagonisten fertig werden müssen: Ein Mensch wird tragisch aus dem Leben gerissen und hinterlässt eine riesige Lücke. Ein gewalttätiger Onkel taucht auf, der auf sadistische Weise Kinder misshandelt, die ohnehin schon nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Ein Vater verlässt seine Familie und bringt die verlassene Ehefrau völlig aus dem Gleichgewicht. Auf der anderen Seite gibt es große Gefühle, Freundschaft und neue Perspektiven. Es geht um Dinge, wie sie tausendfach passieren. Harufs Geschichten orientieren sich an der Realität. Entsprechend bietet er auch keine omnipotenten Lösungen an, die in einem Happy End münden. Statt dessen zeigt er, wie die Figuren sich der Situation stellen, wie ihnen Hilfe von anderen Menschen angeboten wird, wie sie, der eine schneller, der andere langsamer, wieder auf die Füße kommen oder sich zumindest ein Hoffnungsschimmer am Horizont auftut.

    Man hat schnell das Gefühl, das Städtchen Holt und seine Bewohner zu kennen. Es gibt wie überall Gute und Böse, Aufmerksame und Oberflächliche. Haruf erzählt seine Geschichten völlig unaufgeregt in einfacher, jedoch wunderschön gesetzter Sprache, in der es übrigens nur wörtliche Rede ohne Satzzeichen gibt. Man kann sich unheimlich gut in die Figuren einfinden, auch die Gegend, das Ländliche wird sehr anschaulich beschrieben. Der Autor behält dabei immer einen sicheren Abstand, er erzählt sachlich, wird nie emotional oder gar kitschig. Phantastisch, wie gut es ihm gelingt, den Leser dennoch nahe ins Geschehen zu führen.

    Man kann den Roman unabhängig von seinem Vorgänger lesen. Trotzdem hat es mir beim Lesen Freude gemacht, manch guten alten Bekannten wieder zu treffen. Ich bin überzeugt, dass bei Erstlesern anschließend der Wunsch aufkeimen wird, auch die anderen Bücher Harufs kennenzulernen.

    Ein wunderschöner, flüssig zu lesender amerikanischer Roman über ganz normale und gleichzeitig besondere Menschen, der viel Raum für eigene Gedanken und Wertungen lässt. Ein Buch, wie ich es liebe!